Regeln? Mäßig!

Unsportlichkeiten oder gekackte Korinthen?

Ein ungeliebtes Thema: Regeln beim Pétanque

Zwischen Unwissen und Unsportlichkeit

Datum

26. Mai 2025

Autor

Frank J.

Es war im Herbst 2024. Ich war voll­kom­men sicher. Nicht der gerings­te Zwei­fel nag­te an mir: In Franks Pétan­que wür­de es eine Rubrik zum The­ma Regeln geben. Nein, muss­te! Der Grund dafür waren mei­ne Erfah­run­gen, die ich in den letz­ten zwei Jah­ren gemacht hat­te, seit ich wie­der regel­mä­ßi­ger Pétan­que spielte.

Puh, das wird kei­ne ein­fa­che Auf­ga­be wer­den. In die­sem Arti­kel möch­te ich einer­seits auf die Kern­bot­schaft fokus­sie­ren: Ich wer­de für ein bedin­gungs­lo­ses Ein­hal­ten der Pétan­que-Regeln plä­die­ren. Viel­leicht sogar leidenschaftlich.

Ande­rer­seits möch­te und wer­de ich eine Geschich­te erzäh­len. Die­se wird weder kurz noch knapp aus­fal­len. Kurz und knapp zu schrei­ben, das ist viel zu auf­wän­dig – und wird nicht jeder Geschich­te gerecht. Ich for­de­re also Neu­gier, Geduld und somit auch Zeit ein von mei­nen LeserInnen.

Die Dou­blet­te-Part­ne­rin, die sich gut in der digi­ta­len Kom­mu­ni­ka­ti­on und mit den eher kur­zen Auf­merk­sam­keits­span­nen vie­ler Men­schen in der heu­ti­gen Zeit aus­kennt, riet mir, ich sol­le die Kern­bot­schaft gleich am Anfang her­aus­stel­len. Damit meint sie natür­lich, dass es nur weni­ge Leser­Innen bis zum Ende des Arti­kels schaf­fen wer­den. Wie immer wird sie Recht haben. Also mache ich es:

Leu­te, hal­tet euch an die Regeln! Ver­dammt noch mal!

So, jetzt kann ich end­lich loslegen.

Die Geschich­te

Damals, es war im Früh­jahr 2022, fühl­te ich mich fast wie in einem ande­ren Uni­ver­sum. Ich hat­te Anschluss an eine klei­ne Grup­pe Boulis­tIn­nen gefun­den, die im hes­si­schen Bracht­tal spiel­ten. Was hat­te sich gegen­über frü­her geän­dert? Nun, mei­ne nach lan­ger Zeit her­vor­ge­kram­ten Kugeln hiel­ten einer Über­prü­fung stand und waren immer noch rund. Ich befürch­te­te aller­dings nach all den Jah­ren ohne Kugel­wurf­pra­xis ein eher ecki­ges statt ele­gan­tes Spiel meinerseits.

Apro­pos rund: Was ich frü­her gut beherrsch­te – den ele­gan­ten Schwung mit der Schuh­spit­ze, mit dem ich den Wurf­kreis in Sand und Kies zog – konn­te ich ver­ges­sen. Es wur­den schnö­de Wurf­krei­se aus Kunst­stoff benutzt. Gut für die Händ­ler mit Boule-Zube­hör, schlecht für Schuhgeschäfte.

Wurfkreise beim Pétanque: Plastikmüll auf einem Bouleplatz in Lübeck

Die­sen Plas­tik­müll, den wir bekannt­lich grund­sätz­lich ver­mei­den soll­ten, hat­te ich beim Pétan­que schon mal irgend­wann am Ran­de wahr­ge­nom­men. Nun stand ich plötz­lich mit­ten­drin. Aber die Regeln hat­ten sich im Ver­gleich zu mei­ner frü­he­ren akti­ven Zeit nicht nur in Sachen Wurf­kreis ver­än­dert. Mit dem inter­na­tio­na­len Regle­ment aus den 1980er Jah­ren, das mein Pétan­que geprägt hat­te, wäre ich im Jahr 2022 schon beim Wurf des Cochon­nets nicht weit gekommen.

Frü­her war nicht alles besser!

Zu mei­ner Zeit hät­te ich die Ziel­ku­gel für eine gewollt kur­ze Auf­nah­me erst ein­mal vor­sich­tig aus­ge­wor­fen. Sehr vor­sich­tig! Das hät­te dann so ablau­fen können:

  • Ers­te Sze­ne: Wurf des Cochon­nets auf kur­ze Distanz, der Geg­ner moniert. Wir mes­sen. 5,90 m. Zu kurz, klar. Na und?
  • Zwei­te Sze­ne: Ich neh­me das Cochon­net auf und wer­fe es erneut. Der offen­sicht­lich mit einer bockeli­gen Blind­heit geschla­ge­ne Geg­ner ist immer noch nicht ein­ver­stan­den. Das auf­wen­di­ge Pro­ze­de­re des Mes­sens mit einem klapp­ri­gen, natür­lich viel zu kur­zen Maß­band wie­der­holt sich. Ooops! Wie­der ein Fehl­ver­such: ärger­li­che 5,97 m!
  • Drit­te Sze­ne: Dies­mal lan­det die Buchs­baum­ku­gel (übri­gens mit mons­trö­sen 35 mm Durch­mes­ser) end­lich wie gewünscht auf sechs Metern. Natür­lich lässt der Geg­ner wie­der­um nach­mes­sen: 6,03 m! Blind­fisch, wuss­te ich doch gleich! (Dass ich dann mei­ne ers­te Kugel auf sie­ben­ein­halb Meter wer­fe, ist glück­li­cher­wei­se nicht Teil die­ser Geschichte.)
Drei Würfe: Altes Pétanque-Regelwerk (um 1980)

So lief das damals oft – und war von den Regeln gedeckt.

Natür­lich wis­sen alle Leser­Innen auf Anhieb, war­um das heu­te nicht mehr mög­lich ist und haben Arti­kel 6 Absatz 161 des Règle­ments offi­ci­el pour le Sport de Pétan­que“ selbst­ver­ständ­lich im Ori­gi­nal oder der Über­set­zung2 aus­wen­dig parat.

Große und kleine Cochonnets: Altes Pétanque-Regelwerk (um 1980)

Das über­gro­ße Cochon­net war damals übri­gens eben­falls erlaubt.

Mit mei­nem gera­de beschrie­be­nen Vor­ge­hen, das auf anti­quier­ten Regeln beruht, hät­te ich heu­te nicht nur zwei Vor­schrif­ten gebro­chen, son­dern mög­li­cher­wei­se bereits vor der ers­ten gewor­fe­nen Kugel eine oder zwei gel­be Kar­ten vor­ge­hal­ten bekommen.

Gel­be Kar­te? Was soll­te denn das? Hat­te sich ein Fuß­ball­schieds­rich­ter auf den Boule­platz ver­irrt und hielt mich für einen übel fou­len­den Links­ver­tei­di­ger?3

Da gab es also mehr als nur die eine neben­säch­li­che Neue­rung mit den Wurf­krei­sen. Ich muss­te mich folg­lich mit dem aktu­el­len Regel­werk beschäf­ti­gen – und mach­te das so, wie es für die Frei­zeit­spie­le in unse­rem bald neu gegrün­de­ten Ver­ein aus­reich­te: oberflächlich.

Schlechtes Foto eines schlecht geschmirgelten und viel zu leichten Cochonnets aus Kork

Auf die­se Wei­se lern­te ich immer­hin, dass heut­zu­ta­ge in man­chen Fäl­len immer noch ohne Plas­tik­rin­ge gespielt wer­den darf, aber auch, das ich an mei­nem 35-mm-Cochon­net noch ordent­lich schmir­geln müss­te, um es ein­set­zen zu dürfen.

Lizenz­tur­nier

Im Win­ter 2023/2024 nahm ich an dem hes­si­schen Tête-à-tête-Wett­be­werb namens „Cou­pe d’Hiver“ teil. Es war mein ers­tes Lizenz­tur­nier seit mehr als einem Vier­tel­jahr­hun­dert. Gespielt wur­de in meh­re­ren Run­den: Man ver­ab­re­de­te sich in der Regel mit sei­nem Geg­ner oder sei­ner Geg­ne­rin zu den jeweils drei Par­tien. So weit, so wenig spannend.

Aller­dings bemerk­te ich schnell, dass weder ich noch mei­ne Kon­tra­hen­tIn­nen auch nur annä­hernd sou­ve­rän mit dem Regel­werk umgin­gen. Ich hat­te vie­les von frü­her ver­ges­sen und war zudem nicht sicher, was von dem Rest der blas­sen Erin­ne­rung über­haupt noch gül­tig war. Mein in Bracht­tal erwor­be­nes Wis­sen für Frei­zeit­spie­le war nicht kugel­fest und reich­te ersicht­lich nicht aus.

Kla­re Kante?

Da ich im Grun­de mei­nes Wesens ein zwei­feln­der Mensch bin, tat ich genau das: Ich zwei­fel­te. Zuerst zwei­fel­te ich an mei­ner Regel­kennt­nis, wenn mei­ne Geg­ner nicht mei­ner Mei­nung waren. Ich ver­hielt mich vor­sich­tig und ord­ne­te mich in den Tur­nier­spie­len unter. Der Aus­lö­ser war die­se Situation:

Bei einer Begeg­nung hat­te mein Geg­ner Heim­recht. Er durf­te den Platz bestim­men, auf dem wir spiel­ten. In die­sem Fall war das ein ein­zel­nes, klei­nes, abseits gele­ge­nes Spiel­feld in einem Park. Zwei Bän­ke und ein Müll­ei­mer säum­ten die etwas her­un­ter­ge­kom­me­ne Park­idyl­le — eben­so wie eine Ein­fas­sung der san­di­gen Spiel­flä­che durch nied­ri­ge Beton-Gehwegplatten.

„Die Kan­te ist aus“, so lau­te­te die Ansa­ge mei­nes Geg­ners. Mein ganz zar­ter Ein­wand, dass eine even­tu­el­le, ja viel­leicht sogar nur unmerk­lich wahr­nehm­ba­re, ganz zar­te Berüh­rung einer Kugel mit der Beton­kan­te ein äußerst zwei­fel­haf­tes Kri­te­ri­um sei, um die Ungül­tig­keit einer Kugel fest­zu­stel­len, führ­te umge­hend zu ers­tem, unüber­seh­ba­rem Unmut mei­nes Geg­ners. Als ich dann noch vor­sich­tig dar­auf hin­wies, dass an man­chen Stel­len eine kla­re Beton­kan­te wegen ange­häuf­ten Sands nicht aus­zu­ma­chen sei, bemerk­te ich einen deut­lich erhöh­ten Blut­druck­wert bei mei­nem Kon­tra­hen­ten. Viel­leicht auch bei mir, dach­te ich, in mich hineinhorchend.

Dabei hat­te ich das stärks­te Argu­ment man­gels mei­ner schwa­chen Regel­kennt­nis noch nicht ein­mal parat: In Arti­kel 19 Absatz 2 des inter­na­tio­na­len Regle­ments steht ein­deu­tig, dass eine Kugel, die das Spiel­feld ver­lässt, nur dann ungül­tig wird, wenn es sich um ein Spiel mit Zeit­be­schrän­kung han­delt, das auf einem zuge­teil­ten Spiel­feld aus­ge­tra­gen wird. Kei­ner die­ser Punk­te wur­de im vor­lie­gen­den Fall erfüllt. Mein Geg­ner woll­te also offen­sicht­lich die Pétan­que-Regeln umschrei­ben. Was wür­de ihm noch einfallen?

Halt die Klappe!

Zumin­dest die Stim­mung war bereits vor der ers­ten gespiel­ten Kugel im Aus. Und das ein­deu­tig. In dem Augen­blick ent­schied ich mich dafür, die Situa­ti­on schlicht und ein­fach zu ertra­gen. Halt die Klap­pe, sag­te ich mir. Ich wuss­te damals noch nicht, dass ich die­se Ein­stel­lung für die nächs­ten andert­halb Jah­re weit­ge­hend beher­zi­gen sollte.

Ich ahn­te, dass so gut wie alles, was bis dahin pas­siert war, nicht den Vor­ga­ben für das Tur­nier ent­sprach, die ein­deu­tig waren. Da waren zum einen die spe­zi­fi­schen Regeln des Ver­an­stal­ters – es han­del­te sich um den Hes­si­schen Pétan­que-Ver­band – die besag­ten, dass im vor­lie­gen­den Fall der Gast­spie­ler ent­schei­den kön­ne, ob „Ter­rain Lib­re“ gespielt wür­de.4 Die­se Regeln hat­te ich gele­sen, aber das Erin­nern fällt mit zuneh­men­dem Alter nicht leich­ter. Einen Aus­druck mit­zu­neh­men hat­te ich eben­falls ver­ges­sen. Der Blut­druck mei­nes Geg­ners hät­te sich ver­mut­lich auch nicht nor­ma­li­siert, wenn ich ein paar Papie­re aus mei­ner Tasche gezo­gen hätte.

Da war dann aber auch noch das bereits erwähn­te inter­na­tio­na­le Regle­ment – und mei­ne nur begrenz­te Sicher­heit auf die­sem Feld. Dabei hat­te der Ver­an­stal­ter aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es zu beach­ten sei.5 Mein Feh­ler, dass ich nicht dar­auf vor­be­rei­tet war. Aller­dings hat­te ich nicht damit gerech­net, dass mein Geg­ner mit einem eige­nen Regel-Set auf­war­ten würde.

So monier­te ich nichts – auch wenn ich allen Grund dafür gehabt hät­te: Spiel­fel­der sind laut Regle­ment mit Schnü­ren zu begren­zen.6 Schnü­re gab’s auf die­sem Platz aber ganz bestimmt nicht, da bestand sicher Einigkeit.

Gesetzt den Fall, wir hät­ten über Schnü­re dis­ku­tiert, hät­te sich mein Geg­ner auf die „Erläu­te­rung“ des DPV beru­fen kön­nen, nach der auch ande­re Spiel­feld­be­gren­zun­gen denk­bar sein sol­len. Die­ser Regel­zu­satz des DPV weicht die kla­re Kan­te der inter­na­tio­na­len Regeln in Sachen Spiel­feld­be­gren­zung (Schnü­re!) völ­lig über­flüs­si­ger­wei­se auf.

In einem kon­kre­ten, mir durch eige­nes Spiel bekann­ten Fall wird die Schnü­re durch zer­brö­sel­te Krei­de ersetzt. Wie will man da erken­nen, ob eine Kugel im Aus ist oder nicht?

„Es dür­fen auch ande­re Mate­ria­li­en als Schnü­re zur Mar­kie­rung ver­wen­det wer­den, sofern sie den geord­ne­ten Spiel­ver­lauf nicht beein­flus­sen.“ 7 8

So etwas wird dann von den Ver­ant­wort­li­chen im Bun­des­ver­band ver­mut­lich als prag­ma­ti­sche Lösung ver­kauft. Die Erkennt­nis, dass bereits die über­aus schwam­mi­ge For­mu­lie­rung der Erläu­te­rung (Was sind „ande­re Mate­ria­li­en“, was bedeu­tet „geord­ne­ter Spiel­ver­lauf“ in die­sem Zusam­men­hang?) dem kla­ren Gedan­ken der inter­na­tio­na­len Regel zuwi­der­läuft, ist dem DPV wohl nicht bewusst oder gleichgültig.

Fest­zu­hal­ten ist: Hät­te sich mein Geg­ner auf die­se „ande­ren Mate­ria­li­en“ beru­fen, wäre ich nicht vor­be­rei­tet gewe­sen und hät­te mei­ne Klap­pe gehal­ten. Nun tat er dies nicht – ich ver­mu­te, einer­seits aus Unkennt­nis der Regeln, ande­rer­seits dürf­te er es gewohnt gewe­sen sein, eige­ne Regeln auf­zu­stel­len oder das Regel­werk ins­ge­samt zum Gegen­stand von Ver­hand­lun­gen zu machen.

Trotz­dem ist der Aspekt regel­tech­nisch inter­es­sant: Mein Geg­ner hät­te mit einer sol­chen Argu­men­ta­ti­on wie­der­um die Regeln ver­bo­gen, weil eine Beton­kan­te kei­ne Mar­kie­rung sein kann, son­dern ein Hin­der­nis9 dar­stellt. Ein Hin­der­nis kann aber nicht dazu füh­ren, dass eine Kugel bei Berüh­rung mit die­sem als ungül­tig anzu­se­hen ist.10

Eigent­lich alles im grü­nen Bereich, soll­te man den­ken. Kei­ne Schnü­re – also „Ter­rain Lib­re“. The­ma erle­digt. Wie in die­sem Fall – und diver­sen ande­ren, die in den nächs­ten Mona­ten fol­gen soll­ten – stand die Rea­li­tät jedoch in teils kras­sem Gegen­satz zu den Regeln.

Inter­ne Richtlinie

Meine Zurück­hal­tung soll­te also die nächs­ten andert­halb Jah­re mei­ner Tur­nier­spie­le bestim­men. Ich hat­te beschlos­sen, eine pas­si­ve Hal­tung in Sachen Regeln ein­zu­neh­men. Zwar bat ich immer mal wie­der um die Beach­tung von Arti­kel 17 Absatz 3 der Pétan­que-Regeln, wenn man­che Spieler­Innen mein­ten, sich zwi­schen Wurf­kreis und Cochon­net, zu nahe an dem­sel­ben oder sogar in Sicht­li­nie direkt hin­ter ihm auf­hal­ten zu müs­sen, wenn mein Team eine Kugel spie­len muss­te.11

Aller­dings ließ ich mich nicht auf Dis­kus­sio­nen ein, wenn mein Hin­weis igno­riert wurde.

Mei­ne Pas­si­vi­tät galt natür­lich nicht beim Mes­sen und Zäh­len der Punk­te. Ich spiel­te nach wie vor enga­giert und streb­te danach, auf dem Platz prä­sent zu sein – aber ich hielt es bei­spiels­wei­se ohne Gegen­re­de aus, wenn mei­ne Geg­ne­rIn­nen auf dem Platz rauch­ten oder sich besoffen.

An eine Aus­nah­me im Jahr 2024 erin­ne­re ich mich aller­dings: In einem Dou­blet­te litt die geg­ne­ri­sche Spie­le­rin nicht nur unter ersicht­li­cher Rege­lun­kennt­nis, son­dern auch an einer auf­fäl­li­gen, ja fast hek­ti­schen Ner­vo­si­tät. Als untrüg­li­chen Aus­druck der­sel­ben zün­de­te sie sich auf dem Platz eine Ziga­ret­te an. Die Frau hat­te bereits mehr­fach gegen Arti­kel 17 des Regle­ments ver­sto­ßen. Sie zeig­te sich des­we­gen unein­sich­tig. Mir reich­te es.

Um die Situa­ti­on nicht eska­lie­ren zu las­sen, stell­te ich ihrem Spiel­part­ner in eini­ger Ent­fer­nung von der Rau­che­rin lei­se die Fra­ge: „Spie­len wir eigent­lich nach Regeln oder nicht?“ „Ja, klar“, lau­te­te sei­ne Ant­wort. Dar­auf­hin bat ich ihn dafür zu sor­gen, dass das Rauch­ver­bot ein­ge­hal­ten wird. Hat geklappt.

Aber war­um in aller Welt dach­te die Spie­le­rin, dass Arti­kel 39 Absatz 812 auf sie nicht zuträ­fe? War­um muss­te ich die­se Fra­ge über­haupt stel­len? War die Tat­sa­che, dass es bei dem Tur­nier kei­ne Schieds­rich­te­rIn­nen gab, ein Blan­ko­scheck, um unlieb­sa­me Regeln zu missachten?

Ist das über­haupt wichtig?

Nun kann man sol­che Situa­tio­nen als neben­säch­lich ein­stu­fen. Ich fin­de aber, dass das nicht gerecht­fer­tigt ist. Zu oft füh­ren Regel­ver­stö­ße dazu, dass dar­aus eine unnö­ti­ge Emo­tio­na­li­tät ent­steht. Die Kon­zen­tra­ti­on auf das Spiel, die Tech­nik, die Tak­tik und sogar der Zusam­men­halt im Team kön­nen dar­un­ter leiden.

Natür­lich ist es zuläs­sig zu argu­men­tie­ren, dass so etwas zum Spiel gehö­re und aus­zu­hal­ten sei und man sich eben bes­ser auf sol­che Fäl­le vor­be­rei­ten müs­se. D’accord. Zumin­dest teil­wei­se: Ich muss für mein Spiel ganz bestimmt ler­nen, dass geg­ne­ri­sche Regel­ver­stö­ße nicht mei­ne spie­le­ri­schen und tak­ti­schen Fähig­kei­ten beein­träch­ti­gen. Eben­so muss mein Team in der Lage sein, Regel­dis­kus­sio­nen ange­mes­sen zu ver­ar­bei­ten. Es dür­fen kei­ne Ver­wer­fun­gen in mei­ner Mann­schaft ent­ste­hen, wenn wir uns gegen unfai­res Spiel wenden.

Das ist die eine Sei­te, die betrach­tet und beach­tet wer­den muss. Die ande­re ist, die Unsport­lich­keit des Geg­ners auch als sol­che einzustufen.

Ja, es ist als Unsport­lich­keit ein­zu­stu­fen, wenn Spieler­Innen das Regel­werk nicht ken­nen, es des­halb nicht ein­hal­ten und auf­grund eines Hin­wei­ses eine Sze­ne ver­an­stal­ten. Sogar eine gro­be Unsport­lich­keit ist es, wenn Spieler­Innen sich trotz Kennt­nis des Regel­werks nicht an eben jenes halten.

Regel­kennt­nis ist ein wich­ti­ger Fak­tor für ein fai­res Spiel. Fair­ness wird vom Bun­des­ver­band DPV in § 2 Absatz 1 sei­ner Sat­zung eingefordert:

„Zweck des DPV ist die lan­des­ver­bands­über­grei­fen­de Orga­ni­sa­ti­on und För­de­rung des Pétan­que­sports als Leistungs‑, Brei­ten- und Frei­zeit­sport unter Beach­tung der Grund­sät­ze von Fair­ness und Sport­lich­keit.“ 13

Was geht mich das an?

Für wen aber gilt die Vor­ga­be des DPV? Ganz ein­deu­tig für alle Pétan­que-Spieler­Innen, die einem Ver­ein ange­hö­ren, der Mit­glied in einem Lan­des­ver­band ist. Die­se Spieler­Innen unter­lie­gen durch die Ver­eins­mit­glied­schaft den Vor­schrif­ten ihres Lan­des­ver­bands. Jeder Lan­des­ver­band ist sei­ner­seits Mit­glied im Bun­des­ver­band DPV. Dadurch erkennt der Lan­des­ver­band die Vor­ga­ben des DPV zwei­fel­los an.

Die Grund­sät­ze von Fair­ness und Sport­lich­keit soll­ten auch ohne einen Hin­weis des Ver­bands für alle selbst­ver­ständ­lich sein. Durch die expli­zi­te Nen­nung in der Sat­zung des DPV gibt es aller­dings für jede orga­ni­sier­te Spie­le­rin und jeden orga­ni­sier­ten Spie­ler kei­nen Raum mehr, mit einem eige­nen Regel-Set auf den Platz zu kommen.

Irgend­wel­chen Aus­re­den wie „ich spie­le ja nur zum Spaß“ tritt der DPV ver­nünf­ti­ger­wei­se ent­ge­gen, indem er Leistungs‑, Brei­ten- und Frei­zeit­sport aus­drück­lich auf eine Ebe­ne stellt. Selbst­ver­ständ­lich erkennt der DPV an, dass es ver­schie­de­ne Aus­prä­gun­gen des Pétan­que gibt – macht aber gleich­zei­tig klar, dass selbst Frei­zeit­sport­le­rIn­nen der ein­deu­ti­gen Direk­ti­ve eines fai­ren Spiels unter­lie­gen. Es dürf­te doch wohl unstrit­tig sein, dass die­se Grund­sät­ze erst Recht auf einem Tur­nier eines Ver­eins gel­ten, der Mit­glied in einem Ver­band ist, oder?

Wenn also jemand auf einem Tur­nier auf die Idee kommt, eige­ne Regeln auf­stel­len zu wol­len, dann ist das ein kla­rer Ver­stoß gegen die für alle gel­ten­den Grund­sät­ze des Bundesverbands.

Viel­leicht gibt es aber irgend­wo eine „Erläu­te­rung“, die erlaubt, recht­zei­tig vor Tur­nier­be­ginn mit inten­si­vem Alko­hol­kon­sum zu begin­nen, auf die­se Wei­se die Erin­ne­rung an das Regel­werk zu unter­drü­cken – um dann wäh­rend einer Par­tie ent­spannt zu rauchen?

Wo ist die Grenze?

Wir haben es auf unse­ren Boule­plät­zen viel zu oft mit teils gra­vie­ren­der Unkennt­nis der Regeln zu tun. Das kann man bei einem Spiel mit Anfän­ger­Innen noch nach­voll­zie­hen und als erst ein­mal uner­heb­lich ein­stu­fen. Für Liga­spie­le und bei Tur­nie­ren – unab­hän­gig ob es sich um lizenz­pflich­ti­ge Ver­an­stal­tun­gen han­delt oder nicht – kann aller­dings nicht mal eben locker dar­über hin­weg gese­hen wer­den, dass teils selbst grund­le­gen­de Regeln nicht ernst genom­men werden.

Wie oft habe ich ein „Stell dich doch nicht so an!“ gehört? Zu oft!

Kein Regelverstoß zwischen den Aufnahmen: Wurfkreisgymnastik

Die ent­schei­den­de Fra­ge lau­tet: Wo ist die Gren­ze? Wenn mei­ne Geg­ne­rIn­nen das von ihnen zu kurz gewor­fe­ne Cochon­net mit einem läs­si­gen Kick auf sie­ben Meter beför­dern – und ich das gefäl­ligst akzep­tie­ren soll – darf ich die­ses Cochon­net dann auch nach drei gespiel­ten Kugeln auf acht Meter kicken, weil da mei­ne bei­den ver­leg­ten Kugeln liegen?

Anders for­mu­liert: Auf wel­che Regel­ver­stö­ße einigt man sich vor Spiel­be­ginn? Oder mei­nen die läs­si­gen Boulis­tIn­nen, denen man­che Regeln erkenn­bar gleich­gül­tig sind, dass es gar kei­ner Eini­gung bedarf und „ihre Regeln“ ohne erklä­ren­de Wor­te und ganz selbst­ver­ständ­lich zu akzep­tie­ren sind?

Die Ant­wort liegt auf der Hand und ist so offen­sicht­lich, dass ich mich schä­me, sie über­haupt auf­zu­schrei­ben: Alle hal­ten sich an die bestehen­den Regeln. Nie­mand zwingt der ande­ren Mann­schaft sei­ne Vor­lie­ben auf, die nicht vom Regel­werk abge­deckt sind. So ein­fach ist das. Wenn es kei­ne Schnü­re zur Begren­zung des Spiel­felds gibt, dann wird Ter­rain Lib­re gespielt und eine Beton­kan­te ist wei­ter­hin ledig­lich ein Hin­der­nis. Was ist dar­an schwierig?

Durch die Mit­glied­schaft in einem dem DPV ange­schlos­se­nen Ver­ein besteht eine Ver­pflich­tung für alle Boulis­tIn­nen, das Regel­werk zu ken­nen und zu beach­ten. Nun kann man sicher nicht jeder­zeit jede Regel und alle damit ver­bun­de­nen mög­li­chen Even­tua­li­tä­ten parat haben. Das ändert aber nichts dar­an, dass man sich zumin­dest bemü­hen sollte!

Und noch mehr: Wenn man die Regeln nicht kennt, dann ist es eine gro­be Unsport­lich­keit, irgend­was zu behaup­ten. Wer weiß, wie schlecht es um die eige­ne Regel­kennt­nis bestellt ist, täte bes­ser dar­an, die gemein­sa­me Grund­la­ge für unse­ren Sport ab und zu zu lesen und eine Druck­ver­si­on bei Tur­nie­ren parat zu haben – anstatt regel­wid­rig auf irgend­wel­chen selbst erdach­ten Absur­di­tä­ten zu beharren.

Elen­de Korinthenkacker!

Manch­mal den­ke ich, dass ich auf offen­sicht­li­che Regel­ver­stö­ße des Geg­ners mit selbst aus­ge­dach­ten Regeln reagie­ren könn­te. Das wäre aller­dings auf­grund des Rechts­grund­sat­zes, dass es im Unrecht kei­ne Gleich­be­hand­lung gibt, nicht anzu­ra­ten. Im Zwei­fel wür­de ich dis­qua­li­fi­ziert, der Geg­ner nicht.

eckiges Cochonnet

Trotz­dem ist es ein reiz­vol­ler Gedan­ke, auf die Igno­ranz man­cher Boulis­tIn­nen mit einer Por­ti­on Krea­ti­vi­tät zu reagie­ren. So könn­te ich bei­spiels­wei­se mein wür­fe­li­ges Cochon­net mit 35 mm Kan­ten­län­ge und einem Gewicht von 38 Gramm her­vor­kra­men und das bis­her in einer Par­tie benutz­te mit­ten in einer Auf­nah­me kom­men­tar­los aus­tau­schen. Auf einen mög­li­chen Ein­wand hin behaup­te ich dann, dass nur genau sol­che Ziel­wür­fel zuge­las­sen wären. 

Soll­te die Par­tie trotz­dem nicht gut lau­fen, male ich ein paar Punk­te auf mein ecki­ges Cochon­net, würf­le eine Sechs und darf des­halb eine miss­lun­ge­ne Kugel ans Cochon­net legen. Soll sich der Geg­ner doch bloß nicht so anstel­len, die­ser Korinthenkacker!


  1. Nun, erwar­te nicht, dass hier der besag­te, aktu­el­le Arti­kel der inter­na­tio­na­len Pétan­que-Regeln zitiert wird. Die­se Rubrik „Regeln? Mäßig!“ soll ja gera­de dazu anre­gen, sich damit aus­ein­an­der­zu­set­zen. Aus­ein­an­der­set­zen wäre wohl mehr, als nur kurz zu kon­su­mie­ren, oder? 
  2. Der DPV mach­te aus dem Ori­gi­nal­ti­tel „Règle­ments offi­ci­el pour le Sport de Pétan­que“ in der deut­schen Über­set­zung „Offi­zi­el­le Pétan­que-Spiel­re­geln“. Was hat man sich dabei gedacht, als der Sport auf der Stre­cke blieb? 
  3. Tat­säch­lich hat­te ich die Ein­füh­rung der Kar­ten mit­be­kom­men, was ich aber nicht ver­ra­te, um die fla­che Poin­te anbrin­gen zu kön­nen. 
  4. Aus dem Regle­ment des Cou­pe d’Hiver: „Die bei­den Spie­len­den eini­gen sich im ers­ten Spiel der Begeg­nung vor dem aller­ers­ten Sau­wurf dar­auf, ob auf dem vor­han­de­nen Spiel­ge­län­de Ter­ra Lib­re oder in einer abge­grenz­ten Bahn gespielt wird. […] soll­te es kei­ne Eini­gung geben (was ist mit Euch los?) hat der Gast­spie­ler das Recht, im ers­ten Spiel der Begeg­nung die Bahn/Terra Lib­re aus­zu­wäh­len.“ (sic!) 
  5. Aus dem Regle­ment zum Cou­pe d’Hiver: „Es wird nach den gül­ti­gen Pétan­que Regeln gespielt …“ (noch­mal sic!) Wie nötig die­ser Hin­weis des Ver­an­stal­ters auf das Regle­ment war, ist mir dann im Lau­fe der Zeit immer deut­li­cher gewor­den. Wie sinn­los der Hin­weis war eben­falls. 
  6. Arti­kel 5 Absatz 2 der zum Zeit­punkt der Erst­ver­öf­fent­li­chung die­ses Arti­kels im Mai 2025 gül­ti­gen inter­na­tio­na­len Regeln besagt, dass Spiel­fel­der mit Schnü­ren begrenzt sind. Eine Kan­te – gleich wel­cher Art – kommt weder in den Regeln vor noch wur­de sie bei der Über­set­zung aus dem Fran­zö­si­schen ver­ges­sen. 
  7. Die oben zitier­te „Erläu­te­rung“ des DPV ist eine Fuß­no­te zu Arti­kel 5 Absatz 2 der deut­schen Über­set­zung des inter­na­tio­na­len Regle­ments der F.I.P.J.P. Die­se Erläu­te­rung des DPV ver­kennt den Sinn und Zweck der betref­fen­den Rege­lung auf ekla­tan­te Wei­se: Es soll eine mög­lichst kla­re Situa­ti­on geschaf­fen wer­den, die Strei­tig­kei­ten redu­zie­ren hilft, ob eine gespiel­te Kugel im Aus ist oder nicht. Eine Krei­de­li­nie, wie sie bei­spiels­wei­se der obers­te Regel­hü­ter des DPV bei den Tur­nie­ren sei­nes Ver­eins in Hain-Gründau ein­setzt, schafft dies­be­züg­lich kei­ne Sicher­heit. 
  8. Den Punkt am Ende des DPV-Zitats habe ich spen­diert, damit wenigs­tens die Regeln der Recht­schrei­bung ein­ge­hal­ten wer­den. 
  9. Was ein Hin­der­nis ist, hat der DPV in sei­ner Aus­le­gung vom 22.9.2021 durch den DPV-Schieds­rich­ter­aus­schuss defi­niert. 
  10. In dem Doku­ment des DPV-Schieds­rich­ter­aus­schus­ses „Umgang mit Hin­der­nis­sen“ vom 29.9.2021 wird das The­ma wei­ter aus­ge­führt. 
  11. Wie nötig die­ser Hin­weis war, ist mir dann im Lau­fe der Zeit immer deut­li­cher gewor­den. Wie sinn­los der Hin­weis war eben­falls. (War­um kommt mir die­ser Fuß­no­ten­text bekannt vor?) 
  12. Arti­kel 39 Absatz 8 lau­tet: „Wäh­rend der Spie­le herrscht Rauch­ver­bot, […]“ 
  13. Das Zitat stammt aus der Sat­zung des Deut­schen Pétan­que-Ver­band e. V. vom 3. Dezem­ber 2017; zuletzt abge­ru­fen am 21. Mai 2025 
Cochonnet

Regel nachschlagen

Hier geht's zum internationalen Reglement der F.I.P.J.P. in der vom DPV übersetzten Version. Dort sind auch die Regelauslegungen zu finden.

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Ja, auf jeden Fall: Da wird noch einiges kommen.

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