Vereinsmeier

über die Freuden des Vereinslebens

Die Büchse der Pandora (Teil II)
Jacques

Datum

17. August 2025

Autor

Frank J.

Eini­ge Wochen spä­ter. Wir waren längst wie­der im All­tags­trott. Die Rei­se nach Süd­frank­reich war nicht ver­ges­sen. Das doch etwas ver­stö­ren­de Erleb­nis in Frei­burg war – ver­drängt.1 Der frü­he Herbst mein­te es gut mit uns Bou­list­Innen und ich fuhr vol­ler Freu­de zum Bou­lo­dro­me Bracht­tal. Alles war wie immer: Aus­wurf, ich wur­de mit – nen­nen wir ihn hier mal aus Grün­den der Anony­mi­sie­rung – Jac­ques zusam­men gelost. Es soll­te mei­ne Abschieds­par­tie in Bracht­tal sein.

Die Büch­se der Pandora

Die Arti­kel­se­rie besteht aktu­ell aus zwei Folgen:

  1. Frei­bur­ger Antipathien
  2. Jac­ques

Zwei wei­te­re Fol­gen sind geplant.

Jacques hat­te im letz­ten Jahr begon­nen, Kugeln zu wer­fen. Er war nicht unbe­gabt, aber sei­ne Ent­wick­lung wur­de bald merk­lich lang­sa­mer. Dar­auf zu wet­ten, dass ihm eine gro­ße Kar­rie­re als Boule­spie­ler bevor­stand, wäre ver­brann­tes Geld gewe­sen. Ich ver­mu­te­te, dass sein Inter­es­se am Pétan­que weit gerin­ger war als die Mög­lich­keit, sich zu unter­hal­ten. Trotz­dem soll­te ihm etwas gelin­gen, was wohl nie­mand ahnen konn­te: Jac­ques soll­te die ganz gut funk­tio­nie­ren­de Boule-Sze­ne in Bracht­tal mehr als durch­ein­an­der bringen.

Spie­le­risch war es bei ihm nicht anders als bei vie­len Anfän­ger­Innen: Zu Beginn zeig­te er ab und zu über­ra­schend gute Wür­fe. Dann kam es nach kur­zer Zeit so, wie es oft zu beob­ach­ten ist.2 Die guten Wür­fe fie­len ihm ersicht­lich schwe­rer. Über Mona­te hin­weg waren weder tech­ni­sche noch tak­ti­sche Ver­bes­se­run­gen erkenn­bar. Genau genom­men mach­te Jac­ques nicht mal den Ein­druck, als wenn ihn das inter­es­sier­te. Ange­bo­te, am Trai­ning teil­zu­neh­men, lehn­te er ab. Es ist sicher nicht nötig zu erwäh­nen, dass das legi­tim ist. Jede und jeder kann sich selbst­ver­ständ­lich so ent­schei­den. Auch Jacques.

Genau­so selbst­ver­ständ­lich ist es, dass ande­re sein Spiel bewer­ten. Hät­te man das getan, wäre man ohne Zwei­fel zu einem recht deut­li­chen Ergeb­nis gekom­men: Spie­le­ri­sches Fein­ge­fühl oder gar tak­ti­scher Über­blick waren nicht sein Ding. Ein Team-Gedan­ke war in sei­nem Spiel nicht erkennbar.

Er war das Para­de­bei­spiel eines Spie­lers, der sei­ne Kugeln ohne Rück­spra­che wirft und die eige­nen Team-Mit­glie­der ihre Kugeln nach deren Gut­dün­ken spie­len lässt. Wie gut das Dün­ken ist – oder viel­leicht auch wie schlecht – ist bei die­sem Spie­ler­ty­pus uner­heb­lich. Ana­ly­sen, struk­tu­rier­tes Vor­ge­hen oder eine Pla­nung über die nächs­te zu spie­len­de Kugel hin­aus fan­den bei Jac­ques nicht statt. Die Fra­ge an den eige­nen Mit­spie­ler: „Soll ich mal ver­su­chen?“ kommt mir in den Sinn, wenn ich über sein Spiel nach­den­ke. Sie ist der klas­si­sche, wenn­gleich unge­woll­te Aus­druck weit­ge­hen­den Unver­ständ­nis­ses des Pétanque-Sports.

Nicht för­der­lich war zudem, dass Jac­ques sein am Anfang vor­sich­ti­ges Spiel abge­legt hat­te. Das führ­te schon mal zu einer letz­ten Kugel, die er mit ordent­lich Kara­cho in Rich­tung des Cochon­nets und des Metall­ge­raf­fels warf, das da irgend­wo her­um­lag. Die Hoff­nung, dass sich dadurch irgend­was zu sei­nen Guns­ten ändern wür­de, bestimm­te sein Spiel. Wie oft hat­te ich es erlebt, dass er die ein­zi­ge gute Kugel sei­ner Mann­schaft auf die­se Wei­se immens gefährdete?!

Nun, die Din­ge hän­gen zusam­men: Er hat­te in der Regel auch kei­nen Über­blick über die Spiel­si­tua­ti­on. Wie auch? Sein Platz war meist am Wurf­kreis. Mach­te er sich doch ein­mal auf in die Rich­tung, wo über die Punk­te ent­schie­den wur­de, kam er meist nicht dort an. Er stopp­te, wo ande­re stan­den, mit denen er reden konn­te. Nicht über das Spiel, wohl­ge­merkt, son­dern über irgend­ein The­ma. Ich will nicht unge­recht sein: In unbe­dach­ten Momen­ten rede­te man viel­leicht tat­säch­lich über das Spiel.

Es war nicht zu über­hö­ren: Für Jac­ques lag der Schwer­punkt der Spiel­ta­ge auf unse­rem Bou­lo­dro­me auf dem Quas­seln. Dass das ewi­ge Gere­de man­che stör­te, bemerk­te er nicht. Dass es schlecht für sein eige­nes Spiel war eben so wenig. Dass es gegen die Pétan­que-Regeln3 ver­stößt, hat er ver­mut­lich nicht mal gewusst. Ich bin ziem­lich sicher, dass er die Regeln nie gele­sen hat. Falls ich mit die­ser Annah­me irre, war sein Inter­es­se dar­an so gering, dass wenig davon hän­gen geblie­ben ist.

Manch­mal aber wur­de auch er, wur­den alle kurz still: In die­sen Momen­ten stand ich im Kreis und warf mei­ne Kugel wegen des unauf­halt­sa­men Geschnat­ters nicht. Ich war­te­te auf Ruhe. Irgend­wann bemerk­ten die Quass­ler dann doch, dass die­se Neben­sa­che, wegen derer sie ja viel­leicht auch hier waren, nicht wei­ter­ging. Ver­wir­rung. Der Rede­fluss stopp­te. Kurz. Nur für den Augen­blick. Danach ging das Gequas­sel unbe­ein­druckt weiter.

Mir war in die­sen Situa­tio­nen klar: Der Stö­ren­fried war ich.

Nun waren Jac­ques und ich wie­der ein­mal zusam­men aus­ge­lost. Wir hat­ten in den letz­ten Wochen eini­ge Par­tien als Team gespielt – und regel­mä­ßig erbärm­li­che Leis­tun­gen abge­lie­fert. „Schö­nes Spiel!“, mein­te Jac­ques zu mir – weil man das eben so sagt. „Mir wäre ein gutes Spiel lie­ber, aber das haben wir seit Wochen nicht geschafft, wenn wir zusam­men spiel­ten“, ent­geg­ne­te ich.

Nein, ich war nicht unfreund­lich, nicht mal im Ansatz. Ich war ehr­lich. Ich wünsch­te mir, dass ich mit ihm zusam­men bes­ser spie­len, dass ich ihn irgend­wie errei­chen könn­te. Es müss­te doch mög­lich sein, dass unser Spiel als Team bes­ser würde?!

Auf die übli­che Fra­ge mei­ner­seits zu Beginn der Par­tie mein­te Jac­ques, dass ich schie­ßen sol­le. Er wür­de legen. Dar­über hin­aus war mein sonst so red­se­li­ger Part­ner ziem­lich still, zumin­dest mir gegen­über. Mit den Geg­nern wur­de geplap­pert wie eh und je.

Apro­pos Geg­ner: Die hat­ten gera­de durch Anspie­len einer eige­nen Kugel zwei Punk­te am Boden. Eine der bei­den lag rela­tiv nahe vor dem Cochon­net. Folg­lich muss­ten wir die nächs­te Kugel spie­len. Legen oder Schie­ßen? Es war eine Fra­ge, wie sie in jeder Par­tie mehr­fach vor­kommt – und ich war der Ansicht, dass Jac­ques und ich die­se Ent­schei­dung in die­ser Situa­ti­on gemein­sam im Team fäl­len sollten:

Wir hat­ten noch meh­re­re Kugeln, der Geg­ner deut­lich weni­ger. Ein Schuss wür­de recht wahr­schein­lich nicht den Punkt brin­gen – aber ein Tref­fer hät­te auch die Lage des Cochon­nets ver­än­dern kön­nen. Ein Fehl­schuss wäre Grund zur Besorg­nis über den Aus­gang der Auf­nah­me gewe­sen. Also lie­ber legen? Die Distanz war groß. Wie eng war der Spiel­stand? Wo lagen unse­re bereits gespiel­ten Kugeln?

Egal wie die Ent­schei­dung aus­fal­len wür­de: Es stand ein Spiel­zug an, der vom Team getra­gen wer­den muss­te. Also frag­te ich Jac­ques nach sei­ner Ein­schät­zung: „Was sol­len wir machen, gibt’s Mei­nun­gen?“ Was dann folg­te, damit hat­te ich nicht gerech­net. Jac­ques explodierte.

Die Büchse der Pandora ist geöffnet: Frederick Stuart Church (Quelle: The Riverside Press for the Hawthorne Portfolio in 1884. Wikimedia Commons)

Ich sah mich einem uner­war­te­ten emo­tio­na­len Aus­bruch gegen­über. Ich sei unver­schämt, wür­de ihn bloß­stel­len – und über­haupt wür­de es kei­nen Spaß machen, mit mir zu spie­len. Das war nicht nur so daher gesagt. Jac­ques ver­lieh sei­ner Aus­sa­ge Nach­druck, indem er sei­ne Abnei­gung recht laut­stark über den Platz schal­len ließ. Er sam­mel­te sei­ne Kugeln ein und ver­ließ das Spielfeld.

Auf mei­ne Äuße­rung, dass Pétan­que ein Team­sport sei und man sich in man­chen Situa­tio­nen bespre­chen müs­se, reagier­te er mit wei­te­ren, lau­ten Beschimp­fun­gen. Ich war baff. Hat­te ich nicht mit dem­sel­ben Jac­ques noch vor Wochen zwei har­mo­ni­sche Tête-à-têtes gespielt, zwi­schen den Par­tien mei­nen Rosé mit ihm geteilt?

Jetzt schweb­te Unheil über dem Platz. Unse­re Geg­ner ver­drück­ten sich betont unauf­fäl­lig ins Gebüsch – sehr offen­sicht­lich, um hier nicht Stel­lung neh­men zu müs­sen. Einer davon war Vor­stands­mit­glied des Ver­eins. Anstatt sei­ne Auf­ga­be wahr­zu­neh­men, war er noch schnel­ler weg als sein Spielpartner.

Jac­ques erklär­te mir auf­ge­bracht und laut­stark, dass er nicht mehr mit mir spie­len wür­de. Ich dach­te an Frei­burg, pack­te mei­ne Sachen und fuhr heim. Aus­ge­grenzt auf der Bank sit­zen wie jener Spie­ler am Neu­en Wieh­re Bahn­hof, das woll­te ich nicht.

Jac­ques hat­te die Büch­se der Pan­do­ra für unse­ren klei­nen Ver­ein geöffnet.


  1. Das Erleb­nis in Frei­burg wur­de in Fol­ge I der Pan­do­ra-Serie geschil­dert: Frei­bur­ger Anti­pa­thien. 
  2. In dem bou­le­var­desken Arti­kel Bal­last der Tech­nik habe ich im Novem­ber 2023 eine Glos­se über das Phä­no­men der häu­fig zu beob­ach­ten­den Ent­wick­lung von Anfän­gern geschrie­ben. 
  3. Regel­mä­ßi­ge Leser­Innen von Franks Pétan­que wer­den die­sen Hin­weis auf die Regeln in der Regel sehr hof­fent­lich nicht benö­ti­gen. Arti­kel 17 der im Jahr 2024 gül­ti­gen inter­na­tio­na­len Pétan­que-Regeln lässt sich unter ande­rem über das Ver­hal­ten der Spie­ler aus: „Wäh­rend der regu­lä­ren Zeit, die ein Spie­ler benö­tigt, um sei­ne Kugel zu spie­len, müs­sen die ande­ren Spie­ler […] äußers­te Ruhe ein­hal­ten.“ Das soll­te bereits für ein fai­res und gesit­te­tes Spiel aus­rei­chen, jedoch hat­ten die Regel­hü­te­rIn­nen da wohl ihre Zwei­fel. So leg­ten sie nach: „Die Geg­ner dür­fen weder umher­ge­hen, noch ges­ti­ku­lie­ren oder irgend­et­was tun, was den Spie­ler stö­ren könn­te. Nur die Part­ner des Spie­lers dür­fen sich zwi­schen der Ziel­ku­gel und dem Wurf­kreis befin­den.“ Nötig sind die­se zwei Sät­ze alle­mal, wenn man sich auf deut­schen Boule­plät­zen umschaut. Das heißt aller­dings nicht, dass sie auch befolgt wer­den. 
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