Vereinsmeier

über die Freuden des Vereinslebens

Ein Verein ist ein Verein
Grouchos Club

Datum

19. April 2025

Autor

Frank J.

Ver­eins­mei­er? Also, die­se Rubrik hät­te es auf Franks Pétan­que nun wirk­lich nicht geben müs­sen. Mein Leben war doch wun­der­bar, seit­dem ich nir­gend­wo mehr Mit­glied war! Alle mei­ne Erfah­run­gen in Ver­ei­nen waren erfolg­reich ver­drängt. Auch die guten. Ich war end­lich ver­eins­frei! Aber dann tauch­te die Idee eines Boule-Clubs in Bracht­tal auf.

Es war ganz früh im Jahr 2023. Nie­mand woll­te einen Ver­ein. Nie­mand? Naja, nicht ganz. Als unse­re klei­ne Grup­pe die Idee hat­te, in Bracht­tal ein Bou­lo­dro­me anzu­le­gen, woll­te der Bür­ger­meis­ter einen ver­läss­li­chen Ansprech­part­ner. Da Schland ein Land der Ver­ei­ne ist, fiel uns nichts Bes­se­res ein, als einen Ver­ein zu grün­den. Wir kön­nen nicht aus unse­rer Haut. Wenn ein Arbeits­kreis nicht reicht, wird’s eben ein Verein.

Ich war nicht begeis­tert. Zu vie­le Ver­wer­fun­gen hat­te ich in Ver­ei­nen mit­er­lebt. Sie beruh­ten in aller Regel dar­auf, dass Per­so­nen in eine Macht­po­si­ti­on kamen, die weder die Fähig­kei­ten, noch die Absicht hat­ten, mit so etwas wie „Macht“ wei­se umzu­ge­hen. Nein, der Gedan­ke war nicht gut. Und hat­te ich nicht immer ver­sucht, Ver­ei­nen aus dem Weg zu gehen?

Grou­cho-Marx-Preis

Tat­säch­lich hat­te ich zum The­ma Ver­ei­ne seit Woo­dy Allens Film „Der Stadt­neu­ro­ti­ker“1 immer das Zitat von Grou­cho Marx2 parat:

„Ich möch­te kei­nem Club ange­hö­ren, der mich als Mit­glied auf­nimmt.“ 3

Grouchos Club

Mein Ein­druck war eigent­lich stets, dass ich mich in Bezug auf Ver­eins­mit­glied­schaf­ten eng an Grou­cho Marx‘ wun­der­ba­rem Satz ori­en­tiert hat­te. Das änder­te sich, als ich eines mor­gens beim Kaf­fee die Dou­blet­te-Part­ne­rin auf die­ses The­ma ansprach. Sie zähl­te ihre wirk­lich weni­gen Ver­eins­mit­glied­schaf­ten auf und mein­te: „Seit wir uns ken­nen warst Du doch in aller­lei Ver­ei­nen aktiv. Den Grou­cho-Marx-Preis eines Ver­eins-Abs­ti­nenz­lers gewinnst Du bestimmt nicht mehr.“

Wie immer hat­te sie Recht. Schon aus Prinzip.

Lübeck, Ham­burg, Freiburg

Alles fing in mei­ner Kind­heit mit einem Ten­nis­ver­ein in Lübeck an. Boris Becker war da viel­leicht drei Jah­re alt und träum­te noch nicht mal davon, einen Ball zu tref­fen. Ich war ihm also weit vor­aus – und traf eben­falls nicht. Wenn ich dar­an den­ke: Was hät­te aus mir wer­den können!

Jah­re spä­ter war ich ein jun­ger Stu­dent mit chro­ni­schem Man­gel an Bar­mit­teln. Ich hat­te schon lan­ge kei­nen Ball mehr getrof­fen, vor allem, weil ich mitt­ler­wei­le in Ham­burg wohn­te und das Ten­nis­spie­len in Lübeck so gut wie nicht mehr betrieb. Dem mitt­ler­wei­le über­lau­fe­nen Ten­nis-Club lag nicht viel an mei­ner Mit­glied­schaft, son­dern an Platz in der Mit­glie­der­lis­te. Der Grund war, dass die Auf­nah­me neu­er Mit­glie­der mehr Geld ein­brach­te, als ver­arm­te Stu­den­ten durch­zu­schlei­fen. Als Neu­ling im Ver­ein muss­te dage­gen eine hor­ren­de Auf­nah­me­ge­bühr gezahlt wer­den. Die Details der Geschich­te gehö­ren hier zum Glück nicht her. Auch ich käme in ihr nicht beson­ders gut weg. Der geld­gie­ri­ge Ver­ein aber noch weni­ger. Filz­ball drüber.

Unpro­ble­ma­tisch waren mei­ne Mit­glied­schaf­ten in einem Segel­flug­ver­ein in der Lüne­bur­ger Hei­de und die im ABC. Die Segel­flie­ger waren weit­ge­hend klu­ge Men­schen, was die Ange­le­gen­heit stark ver­ein­fach­te. Der in die­ser Sport­art extrem not­wen­di­ge Zusam­men­halt wur­de wei­se in den Vor­der­grund gestellt. Die Chefs des Ver­eins wuss­ten, was wich­tig war.

Der ABC, kurz für Alto­na­er Boule-Club, ent­stand aus einer locke­ren Grup­pe meist intel­lek­tu­el­ler, wenigs­tens aber künst­le­risch ver­an­lag­ter Boulis­tIn­nen. Ok, es gab auch einen FDP-Poli­ti­ker, aber der war immer­hin ein ver­schmitz­ter, net­ter Kerl. Den Ver­ein gab’s nur des­halb, weil wir Lizen­zen benö­tig­ten. Schließ­lich woll­ten wir Deut­sche Meis­ter­schaf­ten spie­len und WM-Qua­li­fi­ka­tio­nen. Irgend­wel­ches Ver­eins­ge­döns gab’s dort gegen Ende der Acht­zi­ger nicht mal im Ansatz.

Als ich dann 1990 nach Frei­burg zog, wur­de ich begeis­ter­tes Mit­glied im Badi­schen Pétan­que-Ver­ein (BPV). Wow, was für ein tol­les Bou­lo­dro­me, dazu ein bemer­kens­wer­tes Spiel­ni­veau. Dafür waren zum gro­ßen Teil die damals noch aus mili­tä­ri­schen Grün­den anwe­sen­den Fran­zo­sen ver­ant­wort­lich. Ich merk­te aller­dings bald, dass der Ver­ein deutsch war. Sehr deutsch. Noch schlim­mer: badisch-natio­na­lis­tisch und sehr tümelnd.

Aus heu­ti­ger Sicht war von vor­ne­her­ein klar, dass es nicht gut gehen konn­te zwi­schen die­sem Ver­ein, in dem geis­ti­ges Klein­gärt­ner­tum noch unter­bo­ten wur­de (ich bit­te alle Klein­gärt­ne­rIn­nen um Ver­zei­hung, aber in einem Arti­kel über Ver­ei­ne passt die­ses Bild ein­fach zu gut) und einem Nord­deut­schen mit Mei­nung. Schlim­mer noch: mit begrün­de­ten Mei­nun­gen. Als ich auch noch über die Zustän­de in Frei­burg berich­te­te,4 setz­ten mich die badi­schen Ver­eins-Mul­lahs mit­tels Ein­schrei­ben vor die Tür.

Du bist raus!

Natür­lich war mein Raus­wurf nicht rech­tens. Natür­lich waren die Säu­fer und Ver­ein­s­tüm­ler über­for­dert mit jeman­dem, der sich für den Sport ein­setz­te. Die Tur­nie­re des immer wei­ter in die Bedeu­tungs­lo­sig­keit absa­cken­den BPV wur­den immer schlech­ter besucht. So etwas wie einen orga­ni­sier­ten Spiel­be­trieb gab es nicht. Suff und Zoff waren an der Tages­ord­nung, Aver­sio­nen gegen­über neu­en Mit­glie­dern offen­sicht­lich. All das sollte/durfte nicht an die Öffent­lich­keit kommen.

Wie in fast allen Ver­ei­nen beklag­ten die Mul­lahs zudem, dass alle Arbeit an ihnen hän­gen blie­be. Ich fand, dass jemand wie ich da gera­de recht kam. Zusam­men mit Peter erklär­te ich mich zur Orga­ni­sa­ti­on des Tur­niers zur Sai­son­er­öff­nung bereit. Harald und ich ent­wi­ckel­ten ein Kon­zept für eine regio­na­le Som­mer-Tur­nier­se­rie. Ich hark­te Plät­ze, half beim Ab- und Wie­der­auf­bau einer gräss­li­chen klei­nen Hal­le. Ich war aktiv. Natür­lich war das alles höchst verdächtig.

Mein Ver­eins­aus­schluss erfolg­te, nach­dem ein Bericht von mir über ein Tur­nier mit sturz­be­sof­fe­nen Fina­lis­ten in der Pétan­que Inter­na­tio­nal ver­öf­fent­licht wur­de. Ohne Anhö­rung warf man mich raus. Das war selbst­re­dend nich­tig. Dazu gibt’s kei­ne zwei ernst­haf­ten Mei­nun­gen, was aber den Vor­stand – dar­un­ter auch min­des­tens ein Jurist – nicht küm­mer­te. Da ich unter den Mul­lahs nicht wei­ter spie­len woll­te, trat ich aus dem BPV aus. Zu die­ser Geschich­te gehört aller­dings noch das gute Ende.

Ich grün­de­te die Spiel­ge­mein­schaft Wieh­re, orga­ni­sier­te das meis­te, blieb aber im Hin­ter­grund. Ich konn­te Sig­mar und Hubert gewin­nen, die­sen neu­en Club zu füh­ren. Vie­le Spie­le­rIn­nen tra­ten aus dem BPV aus und nah­men ihre Lizenz bei der Spiel­ge­mein­schaft, die übri­gens zu mei­ner Freu­de noch heu­te exis­tiert.5

Wäch­ters­bach, Brachttal

Nicht vie­le ande­re Ver­ei­ne erfreu­ten sich seit­dem an mei­ner Mit­glied­schaft. Die ein­zi­ge kur­ze Epi­so­de, die im Rah­men von Franks Pétan­que noch erwäh­nens­wert ist, war mei­ne Kurz­mit­glied­schaft im 1. Pétan­que-Club Wäch­ters­bach. Kurz war sie des­halb, weil man es dort zumin­dest damals vor­zog, in gesel­li­ger Run­de Kaf­fee und Ande­res zu trin­ken, anstatt Kugeln zu werfen.

Als ich das zwei­te Mal unter den Augen der wer­ten Mit­glied­schaft eine Stun­de lang allei­ne Kugeln gewor­fen hat­te, trat ich aus. Aus dem Ver­ein. Ich woll­te ande­re Din­ge trai­nie­ren als mei­ne Bla­se. Aus der Erin­ne­rung mei­ne ich, dass ich ordent­lich geze­tert habe. Das wird der gemüt­li­chen Zecher­run­de run­ter­ge­gan­gen sein wie Alkohol.

Heu­te wirbt der Club auf sei­ner Web­site mit dem Slo­gan „Der Ver­ein für Freu­de am Boule­spiel!“ Des­wei­te­ren wird klar­ge­stellt: „Der neue Ver­ein hat sich gemäß sei­ner Sat­zung die För­de­rung und das Betrei­ben des Pétan­que­sports zur vor­ran­gi­gen Auf­ga­be gemacht.“

Wie­der Jah­re spä­ter stand nun in Bracht­tal die Grün­dung eines neu­en Pétan­que-Clubs an. Wie bereits erwähnt: Ich war nicht begeistert.

Da ich aber die Not­wen­dig­keit ver­stand, wur­de ich Grün­dungs­mit­glied. Ich ver­sprach, den Ver­ein nach Kräf­ten zu unter­stüt­zen. Wir woll­ten den Pétan­que-Sport in der Regi­on eta­blie­ren. Für ein Amt woll­te ich aber nicht zur Ver­fü­gung ste­hen. Glück­li­cher­wei­se fan­den sich andere.

Wenn ich jemals etwas wirk­lich Sub­stan­ti­el­les für eine Frei­zeit­be­schäf­ti­gung getan habe, so war es für die­sen Pétan­que-Club. Mir ging es run­ter wie Öl, als mir eines Tages ein Mit­glied sag­te: „Du bist hier der Macher. Ohne Dich wäre ich nicht dabei.“

Es dau­er­te kei­ne zwei Jah­re, bis die übli­chen Mecha­nis­men zu grei­fen began­nen. Aus Vor­stän­den wur­den Mul­lahs und auch in Bracht­tal alles ande­re als weise …

Ver­eint – aber wozu?

Dabei wären die Din­ge ein­fach. Ein Ver­ein hat Mit­glie­der und eine Sat­zung. Da steht drin, wor­um es geht. Wenn der Ver­eins­zweck „För­de­rung des Sports“ lau­tet, soll­te das auch gelebt wer­den und nicht nur Quas­sel­run­den statt­fin­den, bei denen zufäl­lig ein paar Kugeln anwe­send sind.

Pétan­que wird in Bracht­tal nicht gespielt. Bes­ten­falls etwas Boule. Dazu braucht man kei­nen Pétan­que-Club. Die Fol­gen sind unschön. Ich wer­de sicher unter der Rubrik „Ver­eins­mei­er“ über das eine oder ande­re berich­ten – allei­ne schon des­halb, um ande­ren, denen es ähn­lich geht, zu zei­gen, dass es oft an den Ver­eins­struk­tu­ren und häu­fig an den Mul­lahs liegt. Und ich den­ke dabei an ganz bestimm­te Spie­ler und Spie­le­rin­nen in Frei­burg, Wäch­ters­bach und ande­ren Ver­ei­nen, die ich ken­ne und die mir von ihrem Frust erzählt haben.

Ver­ant­wort­lich für ein gutes Ver­eins­le­ben ist jedes Mit­glied. Den Rah­men aber muss der Vor­stand schaf­fen. Er muss die Geschi­cke des Ver­eins zwi­schen den Mit­glie­der­ver­samm­lun­gen steu­ern, dafür sor­gen, dass die Sat­zung ein­ge­hal­ten wird und sich ans Ver­eins­recht hal­ten. All das soll­te er wei­se, mit Ver­stand und gerecht angehen.

Grouchos Club

„So einen Ver­ein gibt’s nicht,“ mein­te die Dou­blet­te-Part­ne­rin. Ver­mut­lich hat sie wie­der­um recht. Und so kommt es, dass Grou­cho Marx’ Spruch in einer über­ra­schen­den Wen­dung heu­te für mich doch gel­ten kann:

Ich bin in einem Ver­ein Mit­glied, der jeman­den wie mich lie­ber nicht als Mit­glied hätte.

Das hat was, fin­de ich.

Leser­brief zum Artikel 

1 Kom­men­tar

  1. Schorsch

    Moin Frank,

    fin­de Dei­ne Sei­te und Arti­kel bemer­kens­wert unter­halt­sam, gera­de wegen der tief­grün­di­gen und kri­ti­schen Tex­te. Für mich eine deut­li­che Berei­che­rung der Petanqueberichterstattung.

    Dei­ne Ein­schät­zung über Ver­ei­ne tei­le ich zu fast 100%.

    Mal sehen, ob ich den Arti­kel über Dei­ne „Trun­ken­bold­be­richt­erstat­tung“ in einer mei­ner sorg­sam auf­be­wahr­ten PI finde …

    Alles Gute
    Schorsch
    Nach 10 Jah­ren Prä­si nur noch ein­fa­ches Ver­eins­mit­glied im BC Cassel


  1. End­lich, nach mehr als 45 Jah­ren, habe ich hier die Gele­gen­heit, mei­nem Miss­fal­len in schrift­li­cher Form dar­über Aus­druck zu ver­lei­hen, dass die­ser Film­ti­tel des ers­ten wirk­li­chen Meis­ter­werks Allens vom Ori­gi­nal „Annie Hall“ zu „Der Stadt­neu­ro­ti­ker“ ver­hunzt wur­de. 
  2. Grou­cho Marx war ein begna­de­ter Komi­ker. Wer ihn nicht kennt, bekommt in die­sem kur­zen Aus­schnitt aus „Die Marx Brot­hers in der Oper“ einen Ein­druck sei­ner typi­schen Art. Spoi­ler: Die­ser Film stammt aus einer Zeit, als man noch Zeit für einen Vor­spann hat­te. Er dau­ert in die­sem Fall eine Minu­te und 24 Sekun­den, was allei­ne schon ein Qua­li­täts­merk­mal dar­stellt. Die Unge­dul­di­gen wer­den vor­spu­len. 
  3. Die gan­ze, zum Teil for­mi­da­ble Geschich­te zu die­sem berühm­ten Zitat ist in einer däni­schen Film­zeit­schrift namens 16:9 in einem Arti­kel von Richard Ras­kin online nach­zu­le­sen. 
  4. Ich war Autor beim Maga­zin Pétan­que Inter­na­tio­nal; ein Arti­kel über die Zeit der gedruck­ten Maga­zi­ne ist hier zu fin­den: Ana­lo­ge The­ra­pie vom 15. Janu­ar 2025 
  5. Mit­te April 2025 tele­fo­nier­te ich mit dem lang­jäh­ri­gen Vor­sit­zen­den Jür­gen, der mir erzähl­te, dass er einen Nach­fol­ger gefun­den habe. 
Cochonnet

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Ich habe Sorge, dass da noch mehr kommen wird.

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