Vereinsmeier? Also, diese Rubrik hätte es auf Franks Pétanque nun wirklich nicht geben müssen. Mein Leben war doch wunderbar, seitdem ich nirgendwo mehr Mitglied war! Alle meine Erfahrungen in Vereinen waren erfolgreich verdrängt. Auch die guten. Ich war endlich vereinsfrei! Aber dann tauchte die Idee eines Boule-Clubs in Brachttal auf.
Es war ganz früh im Jahr 2023. Niemand wollte einen Verein. Niemand? Naja, nicht ganz. Als unsere kleine Gruppe die Idee hatte, in Brachttal ein Boulodrome anzulegen, wollte der Bürgermeister einen verlässlichen Ansprechpartner. Da Schland ein Land der Vereine ist, fiel uns nichts Besseres ein, als einen Verein zu gründen. Wir können nicht aus unserer Haut. Wenn ein Arbeitskreis nicht reicht, wird’s eben ein Verein.
Ich war nicht begeistert. Zu viele Verwerfungen hatte ich in Vereinen miterlebt. Sie beruhten in aller Regel darauf, dass Personen in eine Machtposition kamen, die weder die Fähigkeiten, noch die Absicht hatten, mit so etwas wie „Macht“ weise umzugehen. Nein, der Gedanke war nicht gut. Und hatte ich nicht immer versucht, Vereinen aus dem Weg zu gehen?
„Ich möchte keinem Club angehören, der mich als Mitglied aufnimmt.“ 3
Mein Eindruck war eigentlich stets, dass ich mich in Bezug auf Vereinsmitgliedschaften eng an Groucho Marx‘ wunderbarem Satz orientiert hatte. Das änderte sich, als ich eines morgens beim Kaffee die Doublette-Partnerin auf dieses Thema ansprach. Sie zählte ihre wirklich wenigen Vereinsmitgliedschaften auf und meinte: „Seit wir uns kennen warst Du doch in allerlei Vereinen aktiv. Den Groucho-Marx-Preis eines Vereins-Abstinenzlers gewinnst Du bestimmt nicht mehr.“
Wie immer hatte sie Recht. Schon aus Prinzip.
Lübeck, Hamburg, Freiburg
Alles fing in meiner Kindheit mit einem Tennisverein in Lübeck an. Boris Becker war da vielleicht drei Jahre alt und träumte noch nicht mal davon, einen Ball zu treffen. Ich war ihm also weit voraus – und traf ebenfalls nicht. Wenn ich daran denke: Was hätte aus mir werden können!
Jahre später war ich ein junger Student mit chronischem Mangel an Barmitteln. Ich hatte schon lange keinen Ball mehr getroffen, vor allem, weil ich mittlerweile in Hamburg wohnte und das Tennisspielen in Lübeck so gut wie nicht mehr betrieb. Dem mittlerweile überlaufenen Tennis-Club lag nicht viel an meiner Mitgliedschaft, sondern an Platz in der Mitgliederliste. Der Grund war, dass die Aufnahme neuer Mitglieder mehr Geld einbrachte, als verarmte Studenten durchzuschleifen. Als Neuling im Verein musste dagegen eine horrende Aufnahmegebühr gezahlt werden. Die Details der Geschichte gehören hier zum Glück nicht her. Auch ich käme in ihr nicht besonders gut weg. Der geldgierige Verein aber noch weniger. Filzball drüber.
Unproblematisch waren meine Mitgliedschaften in einem Segelflugverein in der Lüneburger Heide und die im ABC. Die Segelflieger waren weitgehend kluge Menschen, was die Angelegenheit stark vereinfachte. Der in dieser Sportart extrem notwendige Zusammenhalt wurde weise in den Vordergrund gestellt. Die Chefs des Vereins wussten, was wichtig war.
Der ABC, kurz für Altonaer Boule-Club, entstand aus einer lockeren Gruppe meist intellektueller, wenigstens aber künstlerisch veranlagter BoulistInnen. Ok, es gab auch einen FDP-Politiker, aber der war immerhin ein verschmitzter, netter Kerl. Den Verein gab’s nur deshalb, weil wir Lizenzen benötigten. Schließlich wollten wir Deutsche Meisterschaften spielen und WM-Qualifikationen. Irgendwelches Vereinsgedöns gab’s dort gegen Ende der Achtziger nicht mal im Ansatz.
Als ich dann 1990 nach Freiburg zog, wurde ich begeistertes Mitglied im Badischen Pétanque-Verein (BPV). Wow, was für ein tolles Boulodrome, dazu ein bemerkenswertes Spielniveau. Dafür waren zum großen Teil die damals noch aus militärischen Gründen anwesenden Franzosen verantwortlich. Ich merkte allerdings bald, dass der Verein deutsch war. Sehr deutsch. Noch schlimmer: badisch-nationalistisch und sehr tümelnd.
Aus heutiger Sicht war von vorneherein klar, dass es nicht gut gehen konnte zwischen diesem Verein, in dem geistiges Kleingärtnertum noch unterboten wurde (ich bitte alle KleingärtnerInnen um Verzeihung, aber in einem Artikel über Vereine passt dieses Bild einfach zu gut) und einem Norddeutschen mit Meinung. Schlimmer noch: mit begründeten Meinungen. Als ich auch noch über die Zustände in Freiburg berichtete,4 setzten mich die badischen Vereins-Mullahs mittels Einschreiben vor die Tür.
Du bist raus!
Natürlich war mein Rauswurf nicht rechtens. Natürlich waren die Säufer und Vereinstümler überfordert mit jemandem, der sich für den Sport einsetzte. Die Turniere des immer weiter in die Bedeutungslosigkeit absackenden BPV wurden immer schlechter besucht. So etwas wie einen organisierten Spielbetrieb gab es nicht. Suff und Zoff waren an der Tagesordnung, Aversionen gegenüber neuen Mitgliedern offensichtlich. All das sollte/durfte nicht an die Öffentlichkeit kommen.
Wie in fast allen Vereinen beklagten die Mullahs zudem, dass alle Arbeit an ihnen hängen bliebe. Ich fand, dass jemand wie ich da gerade recht kam. Zusammen mit Peter erklärte ich mich zur Organisation des Turniers zur Saisoneröffnung bereit. Harald und ich entwickelten ein Konzept für eine regionale Sommer-Turnierserie. Ich harkte Plätze, half beim Ab- und Wiederaufbau einer grässlichen kleinen Halle. Ich war aktiv. Natürlich war das alles höchst verdächtig.
Mein Vereinsausschluss erfolgte, nachdem ein Bericht von mir über ein Turnier mit sturzbesoffenen Finalisten in der Pétanque International veröffentlicht wurde. Ohne Anhörung warf man mich raus. Das war selbstredend nichtig. Dazu gibt’s keine zwei ernsthaften Meinungen, was aber den Vorstand – darunter auch mindestens ein Jurist – nicht kümmerte. Da ich unter den Mullahs nicht weiter spielen wollte, trat ich aus dem BPV aus. Zu dieser Geschichte gehört allerdings noch das gute Ende.
Ich gründete die Spielgemeinschaft Wiehre, organisierte das meiste, blieb aber im Hintergrund. Ich konnte Sigmar und Hubert gewinnen, diesen neuen Club zu führen. Viele SpielerInnen traten aus dem BPV aus und nahmen ihre Lizenz bei der Spielgemeinschaft, die übrigens zu meiner Freude noch heute existiert.5
Wächtersbach, Brachttal
Nicht viele andere Vereine erfreuten sich seitdem an meiner Mitgliedschaft. Die einzige kurze Episode, die im Rahmen von Franks Pétanque noch erwähnenswert ist, war meine Kurzmitgliedschaft im 1. Pétanque-Club Wächtersbach. Kurz war sie deshalb, weil man es dort zumindest damals vorzog, in geselliger Runde Kaffee und Anderes zu trinken, anstatt Kugeln zu werfen.
Als ich das zweite Mal unter den Augen der werten Mitgliedschaft eine Stunde lang alleine Kugeln geworfen hatte, trat ich aus. Aus dem Verein. Ich wollte andere Dinge trainieren als meine Blase. Aus der Erinnerung meine ich, dass ich ordentlich gezetert habe. Das wird der gemütlichen Zecherrunde runtergegangen sein wie Alkohol.
Heute wirbt der Club auf seiner Website mit dem Slogan „Der Verein für Freude am Boulespiel!“ Desweiteren wird klargestellt: „Der neue Verein hat sich gemäß seiner Satzung die Förderung und das Betreiben des Pétanquesports zur vorrangigen Aufgabe gemacht.“
Wieder Jahre später stand nun in Brachttal die Gründung eines neuen Pétanque-Clubs an. Wie bereits erwähnt: Ich war nicht begeistert.
Da ich aber die Notwendigkeit verstand, wurde ich Gründungsmitglied. Ich versprach, den Verein nach Kräften zu unterstützen. Wir wollten den Pétanque-Sport in der Region etablieren. Für ein Amt wollte ich aber nicht zur Verfügung stehen. Glücklicherweise fanden sich andere.
Wenn ich jemals etwas wirklich Substantielles für eine Freizeitbeschäftigung getan habe, so war es für diesen Pétanque-Club. Mir ging es runter wie Öl, als mir eines Tages ein Mitglied sagte: „Du bist hier der Macher. Ohne Dich wäre ich nicht dabei.“
Es dauerte keine zwei Jahre, bis die üblichen Mechanismen zu greifen begannen. Aus Vorständen wurden Mullahs und auch in Brachttal alles andere als weise …
Vereint – aber wozu?
Dabei wären die Dinge einfach. Ein Verein hat Mitglieder und eine Satzung. Da steht drin, worum es geht. Wenn der Vereinszweck „Förderung des Sports“ lautet, sollte das auch gelebt werden und nicht nur Quasselrunden stattfinden, bei denen zufällig ein paar Kugeln anwesend sind.
Pétanque wird in Brachttal nicht gespielt. Bestenfalls etwas Boule. Dazu braucht man keinen Pétanque-Club. Die Folgen sind unschön. Ich werde sicher unter der Rubrik „Vereinsmeier“ über das eine oder andere berichten – alleine schon deshalb, um anderen, denen es ähnlich geht, zu zeigen, dass es oft an den Vereinsstrukturen und häufig an den Mullahs liegt. Und ich denke dabei an ganz bestimmte Spieler und Spielerinnen in Freiburg, Wächtersbach und anderen Vereinen, die ich kenne und die mir von ihrem Frust erzählt haben.
Verantwortlich für ein gutes Vereinsleben ist jedes Mitglied. Den Rahmen aber muss der Vorstand schaffen. Er muss die Geschicke des Vereins zwischen den Mitgliederversammlungen steuern, dafür sorgen, dass die Satzung eingehalten wird und sich ans Vereinsrecht halten. All das sollte er weise, mit Verstand und gerecht angehen.
„So einen Verein gibt’s nicht,“ meinte die Doublette-Partnerin. Vermutlich hat sie wiederum recht. Und so kommt es, dass Groucho Marx’ Spruch in einer überraschenden Wendung heute für mich doch gelten kann:
Ich bin in einem Verein Mitglied, der jemanden wie mich lieber nicht als Mitglied hätte.
Das hat was, finde ich.
Leserbrief zum Artikel
- Endlich, nach mehr als 45 Jahren, habe ich hier die Gelegenheit, meinem Missfallen in schriftlicher Form darüber Ausdruck zu verleihen, dass dieser Filmtitel des ersten wirklichen Meisterwerks Allens vom Original „Annie Hall“ zu „Der Stadtneurotiker“ verhunzt wurde. ↩
- Groucho Marx war ein begnadeter Komiker. Wer ihn nicht kennt, bekommt in diesem kurzen Ausschnitt aus „Die Marx Brothers in der Oper“ einen Eindruck seiner typischen Art. Spoiler: Dieser Film stammt aus einer Zeit, als man noch Zeit für einen Vorspann hatte. Er dauert in diesem Fall eine Minute und 24 Sekunden, was alleine schon ein Qualitätsmerkmal darstellt. Die Ungeduldigen werden vorspulen. ↩
- Die ganze, zum Teil formidable Geschichte zu diesem berühmten Zitat ist in einer dänischen Filmzeitschrift namens 16:9 in einem Artikel von Richard Raskin online nachzulesen. ↩
- Ich war Autor beim Magazin Pétanque International; ein Artikel über die Zeit der gedruckten Magazine ist hier zu finden: Analoge Therapie vom 15. Januar 2025 ↩
- Mitte April 2025 telefonierte ich mit dem langjährigen Vorsitzenden Jürgen, der mir erzählte, dass er einen Nachfolger gefunden habe. ↩
Moin Frank,
finde Deine Seite und Artikel bemerkenswert unterhaltsam, gerade wegen der tiefgründigen und kritischen Texte. Für mich eine deutliche Bereicherung der Petanqueberichterstattung.
Deine Einschätzung über Vereine teile ich zu fast 100%.
Mal sehen, ob ich den Artikel über Deine „Trunkenboldberichterstattung“ in einer meiner sorgsam aufbewahrten PI finde …
Alles Gute
Schorsch
Nach 10 Jahren Präsi nur noch einfaches Vereinsmitglied im BC Cassel