Wenn jemand in der Medien-Öffentlichkeit kluge Worte zum Pétanque äußert, dann sollten wir das wahrnehmen. Ende Juli 2025 wurde auf Deutschlandradio Kultur ein Bericht gesendet, der die üblichen Klischees weitgehend nicht erwähnt, dafür aber BoulistInnen erzählen lässt. Herausgekommen sind einige sehr hörenswerte Passagen.
Dabei klingt es zu Beginn wie eine Drohung, wenn der Beitrag so anmoderiert wird:
„Jeder, der schon mal am Meer war, kennt wahrscheinlich Beach-Boccia. Ein Spiel, das mit Boule oder Pétanque verwandt ist. Erfunden wurde es vor mehr als 100 Jahren.“
meint ein Sprecher – nicht der Autor – in einem für passionierte Pétanque-SpielerInnen höchst zweifelhaften Einleitungstext. Was dann folgt, ist allerdings von besserer Qualität. Das liegt vor allem an den – teilweise – interessanten Originaltönen.
Besser wissen?
Dass der Autor Wolf-Sören Treusch irgendwo die Legende von den „geschlossenen Füßen“ aufgeschnappt hat, was Pétanque beziehungsweise das okzitanische pieds tanqué eben nicht bedeutet,1 kann man ihm nicht anlasten. Diese Geschichte wird in Boule-Deutschland genau so erzählt und unermüdlich von Generation zu Generation weitergegeben. Woher sollte er es besser wissen?
Apropos besser wissen: Der Titel der Sendung – Boule ist cool – bemüht einen schwammigen und inflationär verwendeten Begriff aus der Jugendsprache. Das lässt vermuten, dass der Autor letztlich doch nicht genug über Pétanque (!) erfahren hat.
Cool ist heute alles, was man einer unkritischen Zielgruppe verkaufen will. Für jedes depperte Thema kann man ein Billig-T-Shirt mit dem Aufdruck „[deppertes Thema einfügen] ist cool“ bei Amazon bestellen.2
Ähnlich oberflächlich, weil ohne weitere erklärende Ausführungen oder gar eine schlüssige Begründung, ist die Aussage Treuschs:
„In Deutschland wird Boule wahrscheinlich nie massentauglich sein.“
Wer an dieser Stelle genervt abschaltet, verpasst jedoch einige kluge Worte in dem Radio-Feature.
Hörenswert!
Den Anfang macht Thorsten Dodzuhn, der Autor des Boule-Lexikons,3 der zur körperlichen und mentalen Anforderung eines Turniers pointiert bemerkt:
„Wenn einem vorschwebt, dass da Rentner infantil rumkegeln – das ist es nicht.“
Mir gefällt diese deutliche Aussage weit besser als die üblichen Pastis- und Gauloise-Geschichten, die sonst in so gut wie jedem Bericht über Pétanque auftauchen.
Ein wenig später wird Bernd Goetzke vorgestellt, ein Pétanque-Urgestein in Deutschland. Alleine die kleine Geschichte, wie ihm das Spiel in Frankreich als Junge beigebracht wurde,4 ist es wert, diesen Radiobeitrag anzuhören.
Wie schön wäre es, wenn wir mehr interessante Gedanken zum Pétanque hören oder lesen könnten – so wie diesen von Bernd:
„Es ist auf der einen Seite die Einfachheit – bei gleichzeitiger Unendlichkeit der Möglichkeiten, die es bietet. Man wird nie damit fertig.“
Ist das cool – oder doch eher klug?
Die Details
Qualität: hörenswert
Sender: Deutschlandradio Kultur
Sendedatum: 27. Juli 2025, 18:05 Uhr
Autor: Wolf-Sören Treusch
Link: zur Sendung
- Hierzu wartet ein Artikel darauf, endlich geschrieben zu werden. Seit mehr als einem Jahr. Da ich jedoch eine Vielzahl von Themen vor mir her schiebe, die ich als weitaus wichtiger erachte, muss momentan dieser kleine Hinweis reichen. ↩
- Ist es Zufall, dass ich den Begriff „deppert“ verwende – und dann eine eine Marketing-Agentur entdecke, die ausgerechnet im Schickeria-München ein paar Stunden Kugelwerfen unter dem Motto Boule ist cool zur Motivation gefrusteter UnternehmensmitarbeiterInnen anbietet? Lese ich den coolen Satz „Während dem Spiel bleibt genug Zeit für Unterhaltung und auch kulinarischen Genuss.“ [sic!] auf der Website der Agentur, vermute ich, dass vor allem Sprachschulen interessiert sein dürften. Aber es ist doch wegen dem Bild! ↩
- Auf Thorsten Dodzuhn und sein Boule-Lexikon habe ich erstmals im Editorial vom 15. Januar 2025 hingewiesen. ↩
- Wenn Dir Bernd Goetzkes Anekdote gefällt, dann wirst Du Dich mit einiger Wahrscheinlichkeit auch an Michael Hornickels Erzählungen aus seiner Kindheit in der Provence erfreuen. Zu finden ist das im ersten Teil des Interviews mit ihm: Sommerferien in der Provence. ↩